Liebe Gemeinde,
eines der prägendsten Bilder der Adventszeit ist das von Maria und dem Jesuskind, umhüllt von einem himmelblauen Mantel. Wenn ein Kind geboren wird erleben die meisten Eltern, wie sie mit einer neuen, umhüllenden Kraft begabt werden. Sie ermöglicht den Eltern, sich „identisch“ mit dem Wesen ihres Kindes zu fühlen. Das Wohlbefinden des Kindes, die Freuden und Leiden wirken auf sie unmittelbar. Durch die Geburt des Kindes können Menschen erleben, dass sie „marienhaft“ werden.
Jedes Kind, das auf die Welt kommt, ist von diesem himmelblauen Mantel umgeben. Aber – wem gehört er? Er gehört dem Kind genauso wie der Mutter.
Seinen Sitz hat er in den instinktiven Kräften des menschlichen Willens, und seine wahre Quelle liegt in der Zukunft, in dem höheren Ich, dessen Geburt in unser irdisches Bewusstsein ein langsames und schmerzhaftes Erwachen ist.
Die Kindheit ist heilig. Wir brauchen nur ein neugeborenes Kind zu betrachten, um das zu spüren. In vielerlei Hinsicht verblasst die Heiligkeit zu früh. Wir müssen alle schmerzhafte Erfahrungen einstecken, die uns zu den Unvollkommenheiten unserer Welt erwecken. Das heilige, von Schuld Unberührte verlieren wir, während wir an Individualität gewinnen – und dadurch in die irdische Existenz „hineinfallen“.
Wir können leicht glauben, dass mit dem Verlust des Unschuldigen ein wesentlicher Aspekt des Menschseins verloren geht. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die Kraft des Mantels, die sich zuerst in der Beziehung zwischen Mutter und Kind offenbart, spiegelt sich später in der Beziehung zwischen dem Menschen und sich selbst wieder. Das „Ich bin“ gewinnt durch wachsende Mündigkeit die Herrschaft über die instinktive Natur des Menschen. Anders gesagt, das „Ich bin“ des Menschen beginnt die liebevolle Führung des erwachsenen Menschen, welche er als Kind von seinen Eltern erfahren durfte.
Auf diese Weise leuchtet das Licht des Ichs in die Dunkelheit der Seele und segnet diese mit einer Reife, die für den heilendenGeist durchlässig ist. Der Mantel der Maria wird mit wachsender Reife ersetzt durch den Mantel der Sophia, durch die göttliche Weisheit.
Herzliche Grüße für die stille Jahreszeit, auch Im Namen des Pfarrerkollegiums, Marcus Knausenberger