Liebe Gemeinde,
ein passionierter Angler oder ein leidenschaftlicher Segler üben ihre Tätigkeit ganz besonders gern aus. Seltsam, dass ihre Taten mit Leiden in Verbindung gebracht werden. Denn eigentlich machen sie den Anglern und Seglern doch besonders viel Spaß. Das deutsche Wort für „Passion“ heißt „Leiden“. Eine Leidenschaft kann dazu führen, dass sie in einer Passion mündet, wenn sie zu einseitig ausgeübt wird. Seelische und physische Schmerzen sind die Folge von Übertreibungen. Dort, wo ein mittleres Maß erhalten bleibt, kommt es nicht zum Leid. Gesundheit entsteht dort, wo der Körper oder die Seele genügend Kraft hat, um für einen Ausgleich zu sorgen. Einseitigkeit kann in die Krankheit führen.
Die nun beginnende Passionszeit zeigt uns, dass wir als Menschheit immer wieder in die Gefahr kommen, einseitig zu werden und nur das für wahr halten, was wir in der äußeren Welt wahrnehmen. Dann leben wir in dem kalten geistverlassenen Erdenhaus, weil wir vergessen haben, dass es die Welt des Geistes gibt, die genau so real ist, wie die Sinneswelt. Nur in der Geisteswelt zu leben würde bedeuten, dass wir jede Bodenhaftung verlieren. Das wäre auch ungesund. Christus kam in die Welt, um uns einen Weg zu zeigen, der die Menschheit einerseits ganz in der irdischen Welt beheimatet und andererseits das Leben im Geist ermöglicht. So wird er der Heilende, der uns vor der Einseitigkeit bewahrt und neue Lebendigkeit schenkt.
Er selbst hat sein Leiden in der Passion ertragen, um für die Zukunft der ganzen Menschheit zu zeigen, was geschieht, wenn wir unser Leiden annehmen und verwandeln. Dann kann Ostern werden. In der Überwindung des alt gewordenen entsteht Auferstehung und damit Zukunft.
Wenn wir in diesem Jahr auf Ostern zugehen, können wir den Blick weiten für die Passion der Erde. Da scheint auch etwas aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Die Natur ächzt unter der Last, die wir ihr durch unseren Verbrauch zumuten. Das Gleichgewicht der Ökosysteme ist dadurch in Gefahr geraten und durch Naturkatastrophen auch das Überleben vieler Menschen. Auch im Zusammenleben in kleinen und großen Gemeinschaften treten immer häufiger Einseitigkeiten auf, die der Heilung bedürfen.
Mit seinem Durchgang durch den Tod zeigt uns der Christus den Weg. Hinsehen und annehmen, was ist, schafft die Vorraussetzung dafür, dass überhaupt erst Wandlung geschieht. Doch wir müssen erst mitten im Leben leiden und sterben, damit sich aus dem Leid Auferstehung entwickelt. In der Ohnmacht entsteht der Raum, in dem zu uns sprechen kann, was aus der Geisteswelt zu uns kommen will.
Es grüßt Sie ganz herzlich, auch im Namen meiner KollegInnen,
Christian Bartholl